Geschichten über Kalbe Milde
 

 


 

 

 
Die Stadt Calbe an der Milde im Jahre 1800.

Zum Arendseeischen Kreise gehören: 1. die Stadt Arendsee, 2. die Stadt Calbe, 3. die Stadt Bismark, 4. der Flecken Gr. Apenburg, 5. das platte Land.

1. Lage.
Die Stadt Calbe a. d. Milde liegt in einer der angenehmsten und fruchtbarsten Gegenden, im Mittelpunkt der Altmark. Der Ort ist 20 Meilen von Berlin und 4 Meilen von Stendal entfernt.

2. Straßen.
Es ist ein offener Ort, ohne Mauern und Wälle, der aber von einem künstlichen Arm der Milde, die auf der Ostseite vorbeifließt, ganz umgeben ist. Calbe hat 2 Ausfahrten mit Schlagbäumen, das Salzwedelsche und Gardelegensche Tor genannt. Die Hauptstraßen sind die Totenstraße, die Richtstraße, die Neustadt und der Kiez. Die vor den Toren liegenden Häuser, welche eine kleine Vorstadt bilden, gehören zu den Rittergütern, und werden mit ihren Einwohnern bei dem platten Lande mit aufgeführt. Hierzu ist zu bemerken. Die Totenstraße ist die Gerichtsstraße, die früher auch Luch oder Lugstraße hieß. Die Bezeichnung Totenstraße führt sie, weil nach alter Ortssitte die Toten nach dem vor dem Salzwedeler Tor gelegenen Kirchhöfen geleitet wurden. Entsprechend der Totenstraße hatte die östliche, die innere Stadt umgebende Straße im Volksmunde den Namen Hochzeitsstraße, weil die Hochzeitszüge zu und von der Kirche diese benutzen. Die moderne Verkehrsregelung gebietet freilich den Brautzügen wie den Leichenzügen auch, sich der Verkehrsordnung anzuschließen. Die Richtstraße nimmt ihren Weg in gerader Richtung durch die Stadt und bezieht beide, die Gardelegener wie die Salzwedelerstraße in dem gemeinsamen alten Namen Richtstraße. Unter Neustadt verstehen wir hier die vor dem Salzwedeler Tor liegenden Wohnhäuser zumeist auf ehemals adligem Grund und Boden, von Reifgerst bis zum Salzwedeler Tor. Bleibt nunmehr noch der Kietz. Der Kietz war früher die Siedlung der Wenden, des von den Deutschen minder geachteten Teils der Bevölkerung am Wasser, nach dem niedrigeren Ortsteile zu. So kann der Name Kietz für Calbe nur den Ortsteil bedeuten, der zwischen der Milde und dem Burggraben liegt, also den sogenannten roten Strumpf, den sich daran anschließenden Teil der Stendalerstraße und die Ansiedlung am Burggraben, kurz den Ortsteil am Wasser.

3. Häuser und Feuerstellen.
Wie die meisten kleineren Städte, von Holz mit Fachwerk, übrigens ziemlich nett, hatte

die Stadt im Jahre 1722
Häuser mit Ziegeln 28
Häuser mit Stroh 89
Scheunen 25
Wüste Stellen -

und im Jahre 1801
Häuser mit Ziegeln 86
Häuser mit Stroh 42
Scheunen 25
Wüste Stellen 1

Der Vergleich der beiden angeführten Jahre ist interessant. 1722 nur 28 Ziegeldächer und 1801 deren 86, oder 1722 Strohdächer noch 89, also 3 mal so viel als Ziegeldächer, und 1801 Strohdächer 42, also nur noch die Hälfte gegenüber den Ziegeldächern. Aber schlimm genug noch, wenn man liest, dass um 1800 unter diesen strohgedeckten Häusern noch einige zu finden waren, welche gar keinen Schornstein, oder nur Schornsteine von Holz, wenn auch gewiss von Eichenholz, besaßen. Furchtbar waren die vielen Feuersbrünste im Mittelalter. Man kann sich gar nicht wundern, wenn ganze Straßen im Feuer ausgingen.

4. Öffentliche Gebäude.
Die Stadt- oder St. Nikolaikirche ist ein ansehnliches Gebäude mit einem ziemlich hohen Turm. Die Pfarr- und Schulgebäude liegen in der Nähe der Kirche. Es gab 1801 an Pfarrgebäuden a) die Oberpfarre b) das Diakonat und 2 Schulgebäude a) die 1737 neu erbaute (1909 abgebrochene) Rektorschule auf dem Grundstück des Gemeindehauses b) das 1734 neu erbaute gegenüber von der Kirche in der Gardelegerstraße noch stehende Organistenhaus. Die Töchterschule, welche jetzt als Wohnung dem Amtsgerichrat dient, wurde erst 1835 erbaut.

5. Mühlen.
1 Wind- und 1 Wassermühle, die aber zum großen Gut gehören. Das war im Jahre 1800.
Um 1865 herum gab es in Calbe außer der Wassermühle 4 Windmühlen. a) hinter der Abdeckerei bei Gagelmann, sie gehörte dem Müller Güssefeld,
b) am Schildt 'schen Wege, sie gehörte dem Müller Nahrstedt.
c) am v. Alvenslebenschen Friedhofe, sie gehörte dem Müller Engel.
d) hinter dem E. Kamman'schen Hause in der Salzwedelerstraße, sie gehörte dem Müller Ahrndt.

6. Einwohner.
Nach Verhältnis volkreich genug. Man zählt 805 Einwohner in der Stadt, 135 Einwohner auf dem großen Gut, 49 auf dem kleinen Gut, zusammen 989 oder rund 1000 Einwohner.

7. Nahrung und Verkehr. Ackerbau, Viehzucht, Hopfenbau und Handel.
Im Jahre 1800 hatte die Stadt 6 Accisebeamte, 1 Aktuarius, 7 Ackerbürger, 1 Apotheker, 8 Stadtarme, 4 Barbiere. (Das sind die sogenannten Ärzte Wendeborn, Palm, Rühl und Leue), 4 Bäcker, 3 Bierschänker, 2 Böttcher, 3 Branntweinbrenner, 7 Brauer, 1 Buchbinder, 1 Bürgermeister, 2 Kandidaten, 1 Kantor, 1 Kontrolleur, 4 Drechsler, 1 Färber, 2 Fleischer, 13 Fuhrleute, 3 Gastwirte, 1 Gerichtsdiener, 1 Glaser, 2 Grützmacher, 4 Hirten, 2 Hopfenhändler, 4 Hufschmiede, 1 Hutmacher, 1 Justitiarius, 4 Kaufleute, 1 Kürschner, 1 Küster, 26 Leineweber, 3 Materialisten, 3 Maurer, 1 Musikus, 1 Mühlenbereiter, 1 Müller, 2 Nadler, 1 Nachtwächter, 1 Organist, 2 Schullehrer, 2 Prediger, 2 Sattler, 1 Servisrendant, 2 Schlosser, 16 Schneider, 24 Schuster, 4 Stadtverordnete, 2 Stellmacher, 9 Tagelöhner, 6 Tischler, 1 Töpfer, 1 Weinhändler, 4 Zimmerleute.

Der Hutmacher fabrizierte im Jahre 1.800 für 75 Taler Hüte. Die Leineweber arbeiteten auf 32 Stühlen für Lohn; im Jahre 1780 verarbeiteten sie für 2.005 Taler Leinewand, wozu 6.850 Stück Garn gebraucht wurden. Wir staunen, dass 16 Schneider, 24 Schuhmacher und 26 Leineweber um das Jahr 1800 in Calbe (Milbe) ihr Brot gefunden haben, und sind besonders überrascht, dass die Leineweber 32 Webstühle in Betrieb hatten, und eine uns heute fast unbegreiflich große Menge Garn und Flachs in Calbe verarbeiten konnten. Es kamen auf 1.000 Einwohner allein 20 Leineweber. Das Klappern der Webstühle mochte den fremden Reisenden vorgetäuscht haben, in ein Weberstädchen hineingekommen zu sein.

Die Statistik meldet weiter: Die Brau- und Brennnahrung ist im Jahre 1800 nicht ganz unbedeutend. Es sind vorhanden 7 Braustellen. Die sonstigen Angaben hierüber interessieren uns hier nicht. Sie werden durch 2 umfangreiche Aktenstücke: Über das Brau- und Bierschankwesen in Calbe aus den Jahren 1703 bis 1789 in breiter Ausführlichkeit besonders behandelt und in einem späteren Bericht auszugsweise veröffentlicht werden.

Vermerkt wird weiter: Hopfenbau, Bohnenbau und Viehzucht beschäftigen die meisten Hände. Die Viehzucht wird besonders durch die grasreichen Wiesen gefördert. Der Hopfengewinn betrug im Jahre 1801 im ganzen 228 Wispel und 14 Scheffel. Angeführt mag hier aber werden, dass die beste Hopfenernte für die Altmark das Jahr 1882 gewesen ist. In diesem Jahre 1882 wird für Calbe eine Hopfenernte von 950 Zentnern angegeben. Der Preis stieg von 100 RM. schnell auf 200, ja zuletzt wurde altmärkischer Hopfen mit 320 RM. für den Zentner bezahlt. Man möge sich ausrechnen, wie viel Geld im Jahre 1882 durch die Hopfenernte nach Calbe gekommen ist. Die alten Leute werden wohl noch davon zu erzählen wissen. Doch wenden wir uns wieder zu unserer Statistik aus dem Jahre 1800/ 1801 zurück.

Da in Calbe vorwiegend Hopfen gebaut und Viehzucht getrieben wird, wie schon das alte Wort besagt, dass Calbe an den drei H. gelebt habe, Heu, Hopfen, Holz, so muss der Ertrag des Körner und Kartoffelbaues den Bedarf im Ort nicht haben decken können. Die Liste verzeichnet für 1801 1 Wispel Weizen Ertrag, 13 Wispel Verbrauch, 12 Wispel Fehlertrag. 8 Wispel Roggen Ertrag, 92 Wispel Verbrauch, 84 Wispel Fehlertrag. 10 Wispel Gerste Ertrag, 70 Wispel Verbrauch, 60 Wispel Fehlertrag. 7 Wispel Hafer Ertrag, 50 Wispel Verbrauch, 43 Wispel Fehlertrag. 10 Wispel Kartoffeln Ertrag. 100 Wispel Verbrauch, 90 Wispel Fehlertrag. Der Fehlertrag musste also von auswärts eingeführt werden, An Vieh zählte man 1801 82 Pferde, 3 Ochsen, 365 Kühe, 214 Jungvieh, 178 Kälber, 268 Hammel, 206 Schafe, 682 Schweine. Der Wollgewinn betrug 16 schw. Stein 8 Pfund. Die Bürger besitzen ein Ellernholz von 1.012 Morgen, woher vorzüglich die Hopfenstangen genommen werden.

8. Der Ort hat 4 Jahr- und 2 Viehmärkte.

9. Der Magistrat, Calbe ist eine Mediatstadt
des Geschlechts von Alvensleben, und steht in Absicht der Justiz unter dem von Alvenslebenschen Gesamtgericht. Die niedere Gerichtsbarkeit und Polizei wird von dem Magistrat, der aus einem Polizeibürgermeister und einem Ratmann besteht, verwaltet. Die Bürgerschaft kann aber den Magistrat übergehen, und gleich anfänglich bei dem Gesamtgericht Recht suchen. Die Bestrafung der Bürger und Fremden steht allein dem Gesamtgericht zu. Eine Kämmereikasse ist nicht vorhanden.

10. Geistlichkeit und Schullehrer.
Bei der Kirche stehen 2 Prediger, 1 Pastor, der zugleich Inspektor (d. h. Superintendent) des Calbischen Kirchenkreises ist, und 1 Diakonus. Bei der Schule 1 Knaben- und ein Mädchenschullehrer, ersterer zugleich Kantor, und der letztere gleichzeitig Organist.

11. Feueranstalten.
Im 16. Quinquennium war Calbe in der Feuersozietät mit 32.274 Talern, im 17. Qinquennium 1802/3 mit 48.900 Talern versichert. Im Jahre 1801 hatte Calbe 47 Brunnen, 2 große und 30 hölzerne Spritzen, 6 Feuerleitern, 110 Eimer, 4 Haken und 3 Wasserkufen.

12. Die beiden Rittergüter
im Jahre 1801. Das große Gut zählte mit 2 Büdnern, 14 Einliegern, 2 Fischern, 1 Förster und verschiedenen Handwerkern, Wasser- und Windmühle zusammen 135 Menschen. Das kleine Gut (Rgt. II) nebst 7 Einliegern und einigen Handwerkern 49 Menschen.

Die Stadt Calbe hatte einschließlich der 2 Rittergüter 1801 an Einwohnern 989 Seelen
1821 1273
1840 1549
1890 1757
1930 1920

Die Zusammenstellung über die Stadt Calbe a. d. M. aus dem Jahre 1800/1801 will uns ein genaues Bild derselben geben. Es sei Calbe, wie die meisten kleinen Städte „ziemlich nett". Die Straßenreihen waren geschlossen, schon im Jahre 1765 gibt es keine wüste Stelle mehr. Im Jahre 1798 war es schon nicht mehr erlaubt, die Häuser nach der Hofseite neu mit Stroh zu decken. Die Dächer der Hofseiten durften nur noch ausgebessert werden und vielleicht von Jahr zu Jahr nur je1/4, mit Stroh gedeckt werden. Scheinbar hatten die Häuser an der Frontseite durchweg Ziegeldächer., Das Straßenbild war also für eine Kleinstadt durchweg erfreulich. Handel und Wandel blühte um das Jahr 1800. In der Zusammenstellung werden die beiden mit Schlagbäumen bewehrten Ausfahrten, das Salzwedel'sche und Gardelegen'sche Tor benannt. Ein reiches Aktenmaterial über die beiden Tore in Calbe a. d. M. steht zur Verfügung, was nunmehr der nachfolgende Bericht uns zeigen mag.


Entnommen einem Aufsatz von Pfarrer Mosenthin, ergänzt durch Henning Krüger
 
 
 
 
 
   
  
 

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