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Die Trocknungsgenossenschaft Kalbe (Milde) und Umgebung von Bernhard Schulze
Während der Grundsteinlegung am 5. Juli 1938
wurden auch die drei symbolischen Hammerschläge
ausgeführt, hier links Landwirt Rudolf Tanger
aus Güssefeld, rechts Baumeister Fritz Lühmann
aus Kalbe(Milde). |
Der Initiator zur Errichtung eines Trocknungswerkes in Kalbe war der Landwirt Wilhelm Schulze
aus Kalbe. Er wurde unterstützt von Landwirt Rudolf Tanger aus Güssefeld und vom Bürgermeister der StadtKalbe Gustav Berth. In Fragen
zur Wasserzuleitung und -ableitung wurde er unterstützt von Kulturbaumeister Emil Berg.
Die Planung des Trocknungswerkes, in dem hochwertiges Trockenfutter aus Zuckerrübenblatt und anderen Futterpflanzen hergestellt werden sollte, begann
im Jahre 1937. Durch die Produktion von Trockenfutter sollten für die Volkswirtschaft teure Futtermittelimporte reduziert werden. Voraussetzung für den
Bau und den Betrieb des Trocknungswerkes war die Gründung einer Genossenschaft. Ab Januar 1938 wurden in Kalbe und den
Dörfern der Umgebung Informationsversammlungen für alle interessierten Bauern durchgeführt, auf denen über alle anstehenden
Fragen Auskunft gegeben wurde. In einem Umkreis von etwa 20 km wurden in den Monaten Januar bis März 1938
aus 30 Dörfern 272 Bauern für die Mitgliedschaft in der „Trocknungsgenossenschaft Kalbe (Milde) und Umgebung eGmbH“ geworben.
Zum Geschäftsführer der neu gebildeten Genossenschaft wurde Wilhelm Schulze aus Kalbe, Gardelegener Straße, gewählt,
zum Stellvertreter Gottfried von Goßler aus Kalbe.
Je nach Größe des landwirtschaftlichen Betriebes erwarben die Mitglieder der Trocknungsgenossenschaft
Anteile an der zu errichtenden Trocknungsanlage. Für einen Anteil mussten 50,– Reichsmark eingezahlt werden,
insgesamt wurden ca. 1.000 Anteile gezeichnet.
Blick auf die Trocknungsanlage von der Engerser Chaussee, vorn links das Büro und das Wiegehaus
mit Fuhrwerkswaage, links dahinter die Lagerfläche für die Briketts, Mitte vorn die Schwemme mit
stabilen Betonwänden, auf denen der Portalkran fahren konnte. Oben im Kran die Fahrerkabine:
In kurzer Zeit konnte ein Hänger mit Zuckerrübenblatt entladen werden. |
Um die Voraussetzungen für den Bau der Trocknungsanlage zu beschleunigen, hat der Vorstand gemeinsam mit der Kreisbauernschaft
mit den zuständigen Stellen in Berlin Verhandlungen geführt, sodass seitens der Regierung ein Kostenzuschuss von
50 Prozent für die Gesamtanlage gewährt wurde. Die Baukosten waren mit 426.000 Reichsmark geplant.
Die Standortfrage zur Errichtung der Trockenanlage wurde mit dem Vorstand der Genossenschaft und der Stadtverwaltung
gemeinsam geklärt. Es wurde etwa 100 m südlich des Gardelegener Tores an der Engerser Chaussee die benötigte Fläche
gekauft: der jahrhundertealte Triftweg und die benachbarte Fläche. Dadurch war es notwendig, einen neuen Weg zu den
Weiden von der Südwestecke an der Kleinen Milde bis zu den Eisgräben anzulegen und zu pflastern.
Hiermit wurde sofort begonnen, seitdem heißt der Weg „Neuer Plansweg“. In der benachbarten Gemarkung Engersen kaufte die Trocknungsgenossenschaft
eine neben der Chaussee liegende Fläche, wo der benötigte Sand für alle Baumaßnahmen entnommen werden konnte. Auch das erforderliche
Wasser für die Schwemme und die Reinigung des Rübenblattes konnte durch einen Rohrdurchlass unter der Engerser Chaussee direkt aus der Obermilde
in das Fabrikgelände fließen. So konnte die Grundsteinlegung am 5. Juli 1938 von den bauausführenden Firmen Lühmann und Graßdorf durchgeführt
werden. Das Richtefest fand am 24. September 1938 statt. Danach konnte die Firma Büttner aus Braunschweig mit dem Einbau
der technischen Aggregate beginnen.
Hinter dem Trocknungsgelände wurden drei Klärteiche angelegt, in denen sich der Schmutz aus dem Wasser absetzen konnte.
Das Heizmaterial wurde mit der Eisenbahn angeliefert und mit Traktoren und Hängern vom Bahnhof zum Trocknungsgelände
gebracht und dort auf Vorrat im Kohlebunker gelagert. Dazu wurde zwei Traktoren (Lanz- Bulldog) und Hänger gekauft,
die in der übrigen Zeit auch für die Mitglieder der Genossenschaft zu einem günstigen Preis
Transporte und Feldarbeiten erledigen konnten. Dafür wurden zwei Mähbinder und zwei Pflüge angeschafft.
Das Stammpersonal (vorne Günter Burtzlaff, dahinter Gerhard Fischer)
beim Reinigen des Wasserkanals in der Schwemme |
Der Grund zum Bau dieser industriellen Trocknungsanlage war die Notwendigkeit, die Futtergrundlage für den jeweiligen
Viehbestand für das ganze Jahr besser abzusichern. Das konntenur geschehen, wenn von den zur Verfügung stehenden Flächen die
höchste Nährstoffproduktion erzielt wird und diese verlustlos zum Einsatz kommt. Hierbei gehören die Zuckerrüben
zu den Früchten, die die höchsten Erträge je Flächeneinheit erzielen. Bei der Ernte der Zuckerrüben wurde damals das
Zuckerrübenblatt mit der Sichel oder der Köpfschippe von der Rübe getrennt oder von dem Köpfschlitten abgeschnitten und
lag dann bis zur Verwertung auf dem Acker. Ein Teil wurde in Silos gebracht und meist mit Nassschnitzeln einsiliert, der andere
Teil von Oktober bis Dezember hauptsächlich als eiweißreiches Zufutter in frischem Zustand an die Milchkühe verfüttert.
Ein großer Teil verblieb jedoch zu lange auf dem Acker und verlor durch Fäulnisprozesse seine hochwertigen Nährstoffe.
Dieser Prozess sollte durch die rechtzeitige künstliche Trocknung vermieden werden.
Ein weiterer Vorteil bei der Zuckerrübenblatttrocknung war die Reinigung der Blattmasse vor der Trocknung in der Schwemme
durch Wasser, sodass nur gereinigtes und geschnittenes Blatt in die Trockentrommel gelangte und ein erstklassiges Futtermittel
produziert wurde, das für alle Tierarten eingesetzt werden konnte. Bei der Trocknung von Zuckerrüben und Kartoffeln wurden
ebenfalls nur gewaschene Früchte getrocknet und gelangten als wertvolles Futter zum Einsatz.
Die Belegschaft der Trocknungsanlage Kalbe und die Vertreter des Krfatfuttermischwerkes Bismark
am Wiegehaus der Trocknung Kalbe V. l. Walter Gericke, Lothar Knorr, Ernst Sobeck, Oskar Winter,
Günter Burtzlaff, Erich Zühl, Maria Koralewski, Erich Baum, Willi Lamprecht, Theo Körner,
Erich Gericke, Gerhard Fischer, Manfred Ramelow, Adolf Pistauer und Rudi Nowack |
Das angebaute Grünfutter konnte im Frühjahr zum günstigsten Zeitpunkt geerntet und zu eiweißreichem Trockenfutter verarbeitet
werden, Futterroggen, Knaul- und Weidelgras, Grünhafer, Landsberger Gemeinde, Rotklee, Luzerne, Leguminosen- Gemenge u.a. So wurde aus 60 dt
Grünfutter mit einem Wassergehalt von 82 % 12 dt Trockengrünfutter produziert. Ein leichtes Bewelken des Grünfutters verbilligte die Trocknungskosten.
Das Trockengrün konnte entweder in großen Säcken oder lose abgefahren werden. Im Sommer konnten bei ungünstigem Erntewetter das Getreide
oder der Raps nachgetrocknet werden.
Blick von der Ostseite |
So wurde die meiste Zeit des Jahres die Trocknungskapazität voll genutzt. In der Hochsaison
musste Tag und Nacht in drei Schichten gearbeitet werden, bei Benutzung der Schwemme kamen dabei Saisonkräfte zum Einsatz.
In der Schwemme war längs in der Mitte durch eine Bodenerhöhung ein geringes Gefälle nach beiden Seiten zu zwei Wasserkanälen,
die mit kleinen Stahlplatten abgedeckt waren. Einige dieser Platten wurde von den Arbeitskräften in der Schwemme
entfernt und die Rübenblätter mit einem Haken in den offenen Wasserkanal gezogen. Durch die Kraft des fließenden Wassers
wurden die Rübenblätter oder Zuckerrüben oder Kartoffeln in Richtung der Fabrikhalle weiter geschwemmt. Neben der Reinigung
wurden auch die Steine entfernt, sodass nur das gereinigte Erntegut in die Schneidemaschine und dann in die große Trockentrommel
gelangte.
In dem Trocknungsgebäude befanden sich auch die Werkstätten, die zur laufenden Instandhaltung der Aggregate und für kleinere
Reparaturen eingerichtet waren. Größere Ersatzteile konnten bis zur Teilung Deutschlands direkt vom Büttner-Werk besorgt werden,
danach mussten alle Ersatzteile durch die betriebseigenen Schlosser selbst angefertigt werden, um den laufenden
Betrieb aller Anlagen zu gewährleisten. Dabei haben die Stammarbeiter, die für alle Arbeitsgänge einsetzbar waren, hohe Leistungen vollbracht.
Zu den langjährig beschäftigten gehörten Günter Burtzlaff, Walter Gericke und Gerhard Fischer – der von 1960
bis 1980 dort tätig war – Lothar Knorr, Rudi Nowack und Manfred Ulrich. Als Werksleiter waren u.a. nacheinander tätig: Hans Tocha, Willi Riechmann,
Bruno Schulz und Erich Gericke. Vorstandsvorsitzender war über lange Jahre Franz Weber aus Kremkau.
Ab 1960 erfolgte die Angliederung des Trocknungswerkes Kalbe an das Kraftfuttermischwerk Bismark. An der Südseite der Trocknung wurden noch Lagerhallen
für Getreide gebaut. Ab 1980 wurde das Trocknungswerk der ZBE (Zwischenbetriebliche Einrichtung) Pelletierwerk in Thüritz angegliedert.
Ab 1986/87 wurde die Trocknungstätigkeit in Kalbe eingestellt, wurden die Gebäude und Anlagen vom Dienstleistungsbetrieb Kalbe übernommen. Dessen
Betriebsleiter Hermann Dannhauer erweiterte die Dienstleistungsbereiche, der vergrößerte Betrieb erhielt den Namen „Mildena“.
Der Gründer der Trocknungsanlage, Landwirt Wilhelm Schulze, machte kurz nach Inbetriebnahme der Trocknung die Bekanntschaft
seiner zukünftigen Frau Erika von Wachs. Er verkaufte seine landwirtschaftlichen Nutzflächen in Kalbe an ortsansässige
Bauern. Das neuerbaute Wohnhaus im Landhausstil in seinem Garten kaufte die Stadt Kalbe und richtete dort einen Kindergarten ein, sodass in
Kalbe nun neben dem evangelischen Kindergarten am Ende der Gerichtsstraße im Rosenwinkel der städtische Kindergarten an der Kleinen Milde entstand.
Wilhelm Schulze erwarb ein Gut in Schlesien. Durch die Kriegseinwirkungen musste er es mit seiner Familie verlassen und blieb eine kurze Zeit in der
Altmark, dann floh er mit seiner Familie aus der DDR und lebte dann in der Lüneburger Heide. Er wurde Vertreter der Büttner-
Werke für Westeuropa für den Bau von Trocknungsanlagen und erfand einige Neuerungen auf dem Gebiet des Trocknungswesens, die patentiert wurden.
An die Nutzung der Trocknungsanlage für besondere Zwecke soll hier noch erinnert werden.
Landwirt Wilhelm Schulze als Vertreter der Büttner
-Werke für Westeuropa neben der ersten Trockengrün-
futterpresse am 14.August 1952 in Engerhafe |
Im Monat Mai 1945 wurde in dem fast 1000 m2 großen Trocknungsgebäude die Entlassungsstelle für deutsche Kriegsgefangene eingerichtet, die vorher
in dem Gefangenenlager auf dem Funkturmgelände „Goliath“ gefangen gehalten wurden. In Abständen von wenigen Tagen kamen vom „Camp Calbe“
Trupps von etwa 500 deutschen Kriegsgefangenen mit Bewachung zu einer Weidefläche am „Neuen Plansweg“ in unmittelbarer Nähe zum Trocknungsgelände.
Diese Weidefläche von etwa 4,0 ha Größe war nur mit einem normalen Zaun für Weidetiere eingezäunt. Die Gefangenen, die hier ankamen, waren für
die baldige Entlassung vorgesehen und warteten hier nur wenige Tage auf ihre Entlassungsscheine. Zuvor wurde die Entlassung im
städtischen Kindergarten an der Kleinen Milde vorgenommen, dort waren auch die Bewachungssoldaten stationiert. Bis zum 1. Juli 1945, als die ersten
sowjetischen Soldaten in der Stadt erschienen, wurden die letzten Gefangenen hier im Trocknungsgebäude entlassen.
Auch die im Kindergarten stationierten amerikanischen, englischen und belgischen Soldaten verließen Kalbe (Milde) in Richtung Niedersachen.
Im Herbst 1945 begann in der Trocknungsanlage dann wieder die Rübenblatttrocknung.
Quellen
Kalbe (Milde), Archiv der Stadt:
„Altmärkische Nachrichten“ 1938 mit Bericht über die Grundsteinlegung
der Trocknungsanlage am 5. Juli 1938
Typoskript Trocknungswerk Kalbe (Milde), Aufstellung der Baukosten i. H. v. 426.059,59 RM, 2 S. Berlin, Slg. Friedrich-Wilhelm Schulze:
Foto Wilhelm Schulze von 1952 Broschüre Büttner-Werke AG Krefeld- Uerdingen (Hrsg.): „Frisches Grünfutter wird zu Grünkraftfutter“, kleine
Winke für die Praxis. Uerdingen 1954
Kalbe (Milde), Slg. Gerhard Fischer: Foto des Stammpersonals am Wiegehaus 1970
Foto Reinigung eines Kanals an der Schwemme 1970
Kalbe (Milde), Slg. Bernhard Schulze:
Foto Blick auf die Trocknung von Osten 1958
Dia Trocknungswerk Archiv C. Schulze, Wernstedt
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