Die Burg kommt in die Hände des Adels Man muss sich vergegenwärtigen - wie eben erwähnt, dass der Wert und Sinn einer Burg sich im Laufe der Zeit verändert hat. Burgen waren zunächst Wehranlagen, über das Land verstreut, die allein von der Landesherrschaft angelegt und erhalten werden konnten. Das war bei den Slawen nicht anders als bei den Deutschen. Schob sich die Expansion der Deutschen weiter über die Elbe-Saale-Linie vor, änderte sich auch der Wert der Burgen, die nun viel stärker ins Hinterland zu liegen kamen. Jetzt wurden sie viel weniger als Wehr- und Verteidigungsanlagen gebraucht, sondern überwiegend als Residenz und Unterkunft des Hofes, der Landesherrschaft. Außerdem muss man sich vorstellen, dass die sich bildende Landmasse des Markgrafentums Brandenburg, die im 13. Jahrhundert von Salzwedel bis an die Oder und darüber hinaus, von Ruppin bis in die Lausitz reichte, nur regiert und verwaltet werden konnte, indem sich der markgräfliche Hof ständig in Bewegung befand und durch das Land zog. Es gab ja noch keine eigentliche Hauptstadt, wenn auch die Markgrafen verschiedene Plätze bevorzugt besuchten (Salzwedel, Stendal, Brandenburg u.a.) Bei dieser "beweglichen" Verwaltung des Landes waren die Markgrafen ja nicht allein unterwegs, sondern führten einen Troß von Menschen, Pferden und Wagen mit sich, unter Umständen mehrere Hundert Personen mit dem entsprechenden Gefährt. Bei den damaligen Straßen- und Brückenverhältnissen waren 20 - 40 Kilometer die Tagesleistung einer solchen Unternehmung. So brauchte die Landesherrschaft in angemessenen Abständen Burgen oder feste Plätze, in denen sie Unterkunft finden konnte. Sehen wir uns die Altmark als Burgenlandschaft an, so finden wir das vollauf bestätigt. War der markgräfliche Hof von Salzwedel nach Stendal unterwegs, so besteht gar kein Zweifel, dass u.U. in Kalbe Quartier gemacht wurde. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Größe einer Burg auch danach gerechnet wurde, wie viel Pferde man einstellen konnte. Nicht nur dem Umfang, sondern auch der Kapazität nach war die Burg in Kalbe eine der größten. Bis zu 400 Pferde konnten eingestellt werden.
In der Zweiten Hälfte der 13. Jahrhunderts, also um 1260/1270, sehen wir eine weitere Veränderung bezüglich. der Burgen sich vollziehen. Der Schwerpunkt der Landesverwaltung verlagert sich stärker in den Raum der Mittelmark (Brandenburg, Spandau sind bevorzugte Plätze). Immer seltener halten sich die Markgrafen in der Altmark auf, ausgenommen Stendal und Tangermünde. Wir bemerken, dass Burgen an Einzelne oder Familien verliehen werden. Das geschieht, um Verdienste zu würdigen, aber auch gegen Geldleistungen. Es entsteht der schlossgesessene Adel. Etwas anderes kommt dazu. Wir erhalten in dieser Zeit deutlicheren Einblick in die Organisation der Hofämter und hier besonders in das wichtige Amt des Truchseß (Droste, Dapifer). Die Aufgabe dieses Amtes bestand darin, die Hofhaltung und Küche des Markgrafen zu organisieren und zu finanzieren. Das war ein gewaltiger Posten im Landesetat. Um die Finanzierung leisten zu können, wurden dem Truchseß markgräfliche Besitzungen und Gefälle (Einkünfte) verliehen, aus denen er dann die Ausgaben der Hofhaltung zu bestreiten hatte, soweit sie sein Amt betrafen. In dieser Stellung lernen wir einen Mann kennen, der auch für die Burg Kalbe von Bedeutung werden sollte: Droiseke (Johann) von Kröcher. Er zeichnet sich durch seinen bedeutenden Einfluss auf den Gang der politischen Ereignisse im nördlichen Deutschland in jener bewegten Zeit aus. Seine große geistige Begabung, sein unerschütterlicher Rechtssinn lassen ihn unermüdlich in den Angelegenheiten des Landes tätig sein. Um 1296 kommt er in den Besitz der Burg Kalbe.
Droiseke von Kröcher war um 1260 geboren. Sein Vater Johann (+1279) war Burgmann in Wolmirstedt. Die Familie stammte sicher aus dem Dorfe Kröchern zwischen Stendal und Wolmirstedt. Über Droisekes Kindheit und Jugend, sowie über die Ausbildung seiner unstreitig großen Talente wissen wir (fast) nichts. Erstmalig wird er erwähnt 1281, als er sich als Knappe während des Pommern-Feldzuges in der Umgebung des Markgrafen befindet. 1282 ist er Burgmann in Wolmirstedt, wie vorher sein Vater. Zwischen 1283 und 1285 zum Ritter geschlagen, finden wir ihn zunächst in der Begleitung der Markgrafen Otto mit dem Pfeile und Conrad (joh. Linie), deren Vasall er ist. Um 1292 tritt er als Truchseß in den Dienst des Markgrafen Otto des Langen (otton. Linie). In dieser Eigenschaft wird er mit umfangreichen Gütern ausgestattet, um 1292/3 mit Beetzendorf, um 1296 mit Kalbe, auch mit Krumke und anderen Besitzungen in der Prignitz. In dieser Zeit bestehen nicht geringe Spannungen zwischen den markgräflichen Familien johann. und otton. Linie. Da er nun Vasall der Markgrafen ottonischer Linie ist (Otto der Lange + 1298, Hermann d. Lange + 1308, der sein besonderer Gönner ist), wirkt sich dieses gespannte Verhältnis auch in seinem Leben aus. Ein ganz ungewöhnlicher Vorgang treibt diese Entwicklung auf die Spitze. Markgraf Hermann bestellt zu Vormündern seines unmündigen Sohnes vier seiner adligen Ratgeber, darunter Droiseke von Kröcher, und nicht, wie es üblich ist, irgendwelche Mitglieder anderer Fürstenhäuser. Als Markgraf Hermann stirbt, widerspricht der aufstrebende Markgraf Waldemar dieser Vormundschaft durch die Adligen. Droiseke von Kröcher und andere entführen kurzer Hand den jungen Markgrafen Johann aus der Hand Waldemars nach Spandau, worauf Markgraf Waldemar mit Waffengewalt das Kind zurückholt. Droiseke kann mit knapper Mühe nach Mecklenburg fliehen. War das das Ende seiner Karriere? Nicht lange danach zieht Markgraf Waldemar den um das Land verdienten Droiseke wieder in sein Vertrauen. Vielleicht ist es auch Droisekes Einfluss gewesen, dass die Zerwürfnisse im Fürstenhause abgebaut wurden. Äußeres Zeichen: die Vermählung Waldemars mit Agnes, der Tochter des verstorbenen Markgrafen Hermann 1311 beim glänzenden Ritterturnier im Rosengarten vor Rostock. In der Folge ist Droiseke in wichtigen Angelegenheiten des Landes tätig, so z.B. als Gesandter bei der Kaiserwahl 1314 in Frankfurt/Main. Als 1317 der junge Markgraf Johann stirbt, vereinigt Waldemar die gesamte Mark Brandenburg, die seit Mitte des vorigen Jahrhunderts zwischen den Familien johann. und otton. Linie geteilt war, in seiner Hand und Droiseke ist sein wichtigster Ratgeber und Truchseß. Nur zwei Jahre dauert diese Gemeinsamkeit. Im August 1319 stirbt Markgraf Waldemar in Bärwalde ohne männlichen Erben, der letzte regierungsfähige Askanier. Für Droiseke von Kröcher bedeutet das eine wirtschaftliche Katastrophe, schulden ihm doch der Hof und das Land umgerechnet ca. 10 Mio. Mark. Wer soll ihm das bezahlen? Um diesen Verlust auszugleichen, sieht man wie Droiseke und seine Söhne in den nächsten Jahren Teile ihres Besitzes veräußern, u.a. Beetzendorf, Krumke und 1324 auch Kalbe. Obwohl Droiseke von Kröcher den Verkauf der Burg Kalbe an die von Alvensleben selbst nicht mehr erlebte, denn Ende 1321 oder Anfang 1322 ist dieser verdienstvolle Mann gestorben, leitet er zu seinen Lebzeiten die Veräußerung durch eine andere Transaktion ein.
Aus einer Schrift zu 1.000 Jahre Kalbe (Milde) von Pfarrer S. Schneider
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