Als Tochter des Schweizers bin ich auf dem Gut groß geworden.
Schweizer war früher die Berufsbezeichnung für Melkermeister, weil viele aus der Branche tatsächlich aus der Schweiz stammten, wie mein Großvater Paul Racine auch.
Der Gutshof erstreckte sich vom Efeuhaus in der Stendalerstraße bis zur Mildebrücke und die Gartenstraße bis zum Weg am Park. (siehe auch Rubrik - Bilder zum Gut)
Die Ländereien und Wiesen lagen an der Neuendorfer Chaussee links, vom Weg bis an den Königsgraben und zur Milde rüber. Nördlich vom Park , auch die Gärten am Teufelsweg (Die Herrschaft mochte den Begriff "Teufelsweg" nicht, für sie war es der Philosophenweg) waren Acker. Die Wiesen beiderseits der Altmerslebener Chaussee. An der Vahrholzerstrasse bis zur Untermilde über den Petersberg zum Karpfenteich und die Wernstedter Chaussee.
Der Hof
Im Efeuhaus wohnte der Gärtnermeister Emil Dohse, dahinter die Gärtnerei.
Die alte Molkerei war damals schon stillgelegt, nur der große Schornstein wurde noch von einem Storchenpaar bewohnt. Das Lindenhaus an der Ecke (es standen 4 Linden davor) diente als Altensitz derer von Alvensleben.
Die beiden nächsten Häuser entstanden aus einer Backsteinscheune mit Rundbogentor. Das langgestreckte Gebäude war eine Pförtnerwohnung, die nie dazu genutzt wurde, ein Düngerschuppen und eine große Halle für Maschinen.
Die Dreschmaschine, der Lanz Buldog und große Gummiwagen waren dort untergebracht.
Dahinter zum Hof hin ein Flachbauschuppen für kleinere Ackergeräte. In der Ecke ein „Zweifamilienhaus“, Stube, Kammer, Küche mußten ausreichen für eine Arbeiterfamilie, egal wieviel Kinder. Unser Haus nahm früher einmal die ganze Breite des Hofes ein, wie ein Foto beweist. Angekohlte Balken im Dachstuhl deuten auf einen Brand hin. Später wurde 2 Stöckig angebaut. Wir nannten es Polenkaserne, weil polnische Saisonarbeiter dort gewohnt haben. Daneben in der Ecke ein Schweinestall mit 10 Buchten.
Die große Scheune hatte einmal 2 Tore wie am Gebälk zu erkennen war. Die Balkeninschriften „Ludolf von Alvensleben 1772“ und „Gottes Gabe ist meine Habe“.
Hier waren auch noch Schweineställe eingerichtet.
Mein Sohn Harald baut diese Scheune gerade zum Wohnhaus um, es wird somit erhalten. Dahinter befand sich noch ein großer Obst- und Gemüsegarten. Ganz vom Wasser umflossen, das Wasser war von der Milde hergeleitet und wurde auch zur Viehtränke genutzt. Am Kastanienweg kann man das noch sehen. Gegenüber auf der anderen Straßenseite – Der Kuhstall. Groß hell und modern. Der Wirkungsbereich meines Vaters.
Für 100 Kühe war der Stall eingerichtet, es waren aber nur etwa 60 Kühe da. Kälberboxen und ein Laufstall für größere Kälber brauchten ja auch Platz.
Der Kuhstall war das „Vorzeigeobjekt“, wenn hoher Besuch kam, wurde er immer auch durch den Kuhstall geführt.
Der große Gutshof
Gegenüber dem Kutscherhaus stand eine Wagenremise im gleichen Baustil, mit überstehendem Dach.
An der linken Seite war die große Scheune mit 3 Toren. Sie wurde durch Brandstiftung vernichtet. Heute steht dort die Kita. Entlang der Straße ein großer Stall für Jungrinder, das war wohl einmal der Kuhstall.
Rechts, am Karpfenteich entlang ein hoher Stall für Pferde, eine Stellmacherei befand sich auch darin. Es gab 2 Toreinfahrten. Oben ein doppelter Kornboden. Am Ende noch das Inspektorenhaus.
Die untere Etage wurde als Waschküche für den Gutsbetrieb genutzt. Auch das Schlachten der Schweine fand dort statt.
Der Gutsherr hatte sein Büro im Schloss oben rechts. Von da aus hatte er eine gute Übersicht, auf das Geschehen im Gutshof. Er machte täglich seine Runde durch Gärten und Ställe. Meist auch in Begleitung seiner Gattin.
Auch auf die Felder ging er zufuß, dann hatte er den Hund und ein Fernglas dabei.
Reit- und Kutschpferde waren im Krieg „eingezogen“. Von den 4 Ackerpferdgespannen wurde auch noch eines gegen Ochsen ausgetauscht.
Ich war oft im Schloss. Wenn gegen Abend einer der Melker eine Kanne Milch in die Schlossküche brachte, war ich oft dabei. Dort warteten schon einige Arbeiter mit ihren „Henkelmännern“, und Marichen Garz die Mamsell, teilte die Milch aus. In der großen Küche gab es einen Speiseaufzug, das Esszimmer der Herrschaft lag über der Küche.
Mitten im Hof stand ein Taubenhaus und eine Volliere zur Kükenaufzucht.
Oben hat dann eines der Mädchen serviert. Einmal war ich bei der „gnädigen Frau“. Durch ein Vorzimmer wurde ich in den Damensalon geführt. Die Tapeten weiß mit 1000 kleinen roten Rosen, Gold umrandet. Im gleichen Muster waren auch die Polstermöbel bezogen. Wie bei Dornröschen kam es mir vor.
Oben im großen Festsaal war ich auch einmal, alles sehr prunkvoll.
Am meisten war ich bei „Mariechen“. In der Advenszeit hat sie mit den Dienstmädchen genäht oder gestrickt. Geschenke für die Arbeiterkinder. „Aus alt mach neu“, im Krieg gab es ja nichts zu kaufen. Ich war dann das „Model“ zum messen und anprobieren. Für ältere oder jüngere Kinder konnte sie dann entsprechend ändern. Ich durfte natürlich nichts verraten.
Am heiligen Abend kamen wir mit unseren Müttern zur Herrschaft ins Esszimmer. Die Familie war beisammen, am großen Weihnachtsbaum brannten die Lichter. Wir haben dann gesungen und Gedichte aufgesagt. Danach bekamen wir Kinder jeder ein Geschenk von der Gutsherrin überreicht.
Wenn es zum Ende des Winters zu tauen begann, wurde auf dem Karpfenteich geeist. Mit Picke, Axt und Säge wurde das Eis in Schollen gehauen. Das Eis wurde auf einen Haufen geschichtet, mit Stroh und Erde bedeckt hielt es sich bis in den Sommer. Es wurde zum kühlen der Milch, oder auch in der Küche verwendet.
Nach dem Krieg, als die sowjetische Armee hier einmarschierte, wurden die von Alvensleben enteignet, sie mußten den Kreis verlassen und kamen beim Pfarrer in Gardelegen unter.